100 Köpfe der Demokratie. Biographische Zugänge zur Demokratiegeschichte in Deutschland

Kurze Beschreibung

Digitales und interaktives Angebot, um über unterschiedliche Biographien aus 200 Jahren deutsche Demokratiegeschichte kennenzulernen.

Lange Beschreibung

1. Programmbeschreibung

Zusammenfassung

Die „100 Köpfe der Demokratie“ sind ein digitales und analoges Angebot zur Vermittlung von Demokratiegeschichte. 100 Biographien, die die unterschiedlichen Formen demokratischen Denkens und Handelns repräsentieren, ermöglichen Schüler:innen, Vermittler:innen und Lehrer:innen bundesweit einen niedrigschwelligen Zugang zur Demokratiegeschichte. Digitale Teilhabeoptionen, frei verfügbare didaktische Handreichungen und die Möglichkeit, für Veranstaltungen sowohl einen finanziellen Zuschuss als auch Zugang zu einem Expertennetzwerk zu erhalten, sind Teil des Angebots der „100 Köpfe“.

Hintergrund

Derzeit wird die Erinnerungskultur in Deutschland neu vermessen. Dazu gehört auch die Diskussion um eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Demokratiegeschichte im Verhältnis zur Erinnerung an die Verbrechen der deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert. Als Teil dieser Debatte hat die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus die digitale Plattform „100 Köpfe der Demokratie. Biographische Zugänge zur Demokratiegeschichte in Deutschland“ zwischen 2020 und 2022 aufgebaut und stetig erweitert. Seit 2023 sind die „100 Köpfe der Demokratie“ dauerhafter Teil des Stiftungsangebots.

Im Kern stellt die Plattform Biographien von 100 Menschen vor. Sie führen die große Bandbreite demokratischen Denkens und Handelns in den letzten 200 Jahren deutscher Geschichte vor Augen. Die Lebensläufe dieser 100 Frauen und Männer aus unterschiedlichen Regionen, Klassen, Schichten und Milieus stehen beispielhaft für vielfältige Ideen und Vorstellungen von „Demokratie“, für Konzeptionen von politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Teilhabe. Nicht alle diese „Köpfe“ waren erfolgreich: Manche endeten mit ihrem Engagement in einer Sackgasse, manche Ideen von „Demokratie“ erscheinen uns heute fremd und nicht länger nachvollziehbar. Einige fanden erst nach schweren Irrtümern und Fehlern den Weg zur Demokratie, wieder andere schufen die Grundlagen für unser heutiges Verständnis einer liberalen, repräsentativen Demokratie.

Alle zusammen zeigen die historische Vielfalt der Demokratie als Idee und Praxis. Die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, die als eine der sieben Politikergedenkstiftungen ein eigenes Museum in Stuttgart unterhält, blickt mit dem Angebot der „100 Köpfe“ sowohl über den „klassischen“ Ausstellungsbetrieb als auch über den Tellerrand Stuttgarts und Baden-Württembergs hinaus: Jeder und jede kann den Inhalt mitgestalten, kritische Nachfragen stellen und mit einem eigenen Veranstaltungsangebot die „100 Köpfe der Demokratie“ zu sich holen – an Schulen und Bildungsorte, in Städten und gerade auch in Dörfern und Kleinstädten bundesweit.

Ziele

(1.) Das Programm „100 Köpfe der Demokratie“ stellt ein digitales und analoges Angebot zur Vermittlung von Demokratiegeschichte bereit – im Inhalt wissenschaftlich fundiert, in seiner Präsentation öffentlichkeitsorientiert. In der besonderen Affinität seines biographischen Zugangs zu digitalen Formaten – sowohl über Kanäle der social media, als auch mittels eigens entwickelter Webtools – liegt sein Spezifikum. Über die Präsentation, aber auch über verschiedene Möglichkeiten, an der Auswahl der Biographien teilzunehmen, regen die „100 Köpfe“ in doppelter Weise an, sich auf die vielfältigen Formen demokratischen Denkens und Handelns in den letzten 200 Jahren deutscher Geschichte einzulassen.

(2.) Diese Vielfalt umfasst dezidiert auch demokratiehistorische Vorstellungen und Praktiken, die mit einem gegenwärtigen Verständnis von liberaler Demokratie kaum oder nicht vereinbar sind. Mit diesem Vorgehen sensibilisieren die „100 Köpfe der Demokratie“ für die immer offene Geschichte der Demokratie und sich wandelnder Demokratieverständnisse. Zugleich wenden sie sich gegen Versuche, historische Vorläufer von Demokratie zu dekontextualisieren und politisch zu vereinnahmen. Sie stehen für eine offene, kritische Erinnerung an Demokratie in Deutschland. Auch aus diesem Grund ist die Auswahl der „100 Köpfe“ nicht endgültig, sondern rotiert mithilfe eines Wahlsystems, an dem jede und jeder teilnehmen kann.

(3.) Diese Haltung möchten die „100 Köpfe der Demokratie“ bundesweit in der Schule und an außerschulischen Lernorten vermitteln. Dazu erarbeiten Lehrkräfte in Abstimmung mit der Stiftung für das Programm übersichtliche didaktische Handreichungen zu den einzelnen „Köpfen“. Frei herunterladbar, kann jede Lehrkraft diese Materialien in seinem Unterricht einsetzen. Außerdem regt die Stiftung bundesweit Veranstaltungen an, die sich mit einzelnen Persönlichkeiten der Demokratiegeschichte auseinandersetzen. Im Rahmen des Programms stehen Expertinnen und Experten für diese Veranstaltungen zur Verfügung, zudem beteiligt sich die Stiftung an den Veranstaltungen auch finanziell. Sowohl in der Schule als auch an außerschulischen Lernorten ermöglichen die „100 Köpfe der Demokratie“ eine je eigene, lokal angepasste Auseinandersetzung mit der Demokratiegeschichte.

Struktur

(1.) Die Webpage ist der Dreh- und Angelpunkt der „100 Köpfe der Demokratie“ und hat sich als Teil einer sich erneuernden Erinnerungskultur mit dem Schwerpunkt der Demokratiegeschichte etabliert. Sie präsentiert die ausgewählten „Köpfe“ ansprechend, informativ und kurzweilig. Sie zeigt in einzelnen Portraits historische Zusammenhänge auf und verweist auf weitere Angebote (etwa die „Orte der Demokratiegeschichte“). Inhalte der Webpage werden regelmäßig über bekannte Kanäle sozialer Netzwerke vermittelt. Sie ist darüber hinaus bei weiteren Trägern der politischen Bildung bekannt. Userinnen können alle weiteren hier dargestellten Angebote der „100 Köpfe der Demokratie“ über die Webpage wahrnehmen. Über eine doppelte Filterfunktion auf der Landing Page lassen sich alle „Köpfe“ nach acht Epochen und nach regionaler Herkunft sortieren.

(2.) Mehrere Teilhabefunktionen sind nach und nach in die Webpage integriert worden und können im Menü über den Reiter „Mitmachen“ angesteuert werden: Dazu gehört das einfach konzipierte, aber für alle Gruppen von Usern leicht einsetzbare Nominierungstool, mit dem über eine leicht zu bedienende Maske begründete Vorschläge für die Aufnahme in die „100 Köpfe“ unterbreitet werden können. Eine zweite Funktion ist das sogenannte Forum. Hier ermöglicht das Programm die Diskussion von Userinnen mit Usern. Im Forum kann jeder und jede (kuratierte) Vorschläge für neue „Köpfe“ einbringen und diese begründen, andere Vorschläge diskutieren und auch über Vorschläge abstimmen. Aus diesen Vorschlägen können „Köpfe“ wiederum ihren Weg in die Gesamtauswahl finden. Dies geschieht über die dritte, zentrale Funktion: Die „Wahl der Köpfe“. Dieses Overlay präsentiert in Wahlmonaten (i.d.R. März und Oktober) sechs potenzielle neue „Köpfe“. Userinnen können bis zu drei Stimmen vergeben und bestimmen die Gesamtauswahl der „100 Köpfe der Demokratie“ aktiv mit. Jederzeit kann am Programm und an den Inhalten auch Kritik geübt werden: Einzelne Nachfragen und Hinweise per Mail verbessern etwa sachliche Fehler in den Texten, größere Beiträge werden über die Sammlung „Debatte“ dokumentiert.

(3.) Die Inhalte der Webpage stellt eine qualifizierte Datenbank bereit. Sie listet 100 geeignete Biographien nach festgelegten Kriterien (etwa: Epoche, demokratiehistorische Relevanz, regionale Verortung und Wirkung, soziale Herkunft, Geschlecht, politische Orientierung) und auf der Grundlage wissenschaftlicher Literatur. Über diese aktive Auswahl hinaus umfasst die Datenbank derzeit ca. 350 weitere Biographien. Diese stellen die Backlist für den Austausch neuer „Köpfe“ in die aktive Auswahl dar. Eigene Recherchen und insbesondere Vorschläge, die Userinnen mithilfe der genannten Teilhabefunktionen auf der Webpage nominieren oder wählen, verlängern die Backlist stetig weiter.

(4.) Didaktische Handreichungen, die Lehrkräfte bundesweit in Kooperation mit der Stiftung erstellen, bietet das Programm auf der Webpage zum freien Download an. Jede dieser Handreichungen widmet sich einem anderen „Kopf“ und dem damit einhergehenden Aspekt der Demokratiegeschichte. Sie sind als Mischung aus biographischer Recherche, analoger Quellenarbeit und digitalgestützten Aufgaben konzipiert. Die Entscheidung, Lehrkräfte als Honorarkräfte für diese Materialien zu gewinnen, stützte sich auf die Überzeugung, einen praxisnahen Blick für die „100 Köpfe der Demokratie“ und ihren Einsatz im Unterricht zu benötigen. Der Bestand soll bis Ende 2024 auf 50 Handreichungen anwachsen.

(5.) Seit 2021 konnte die Stiftung, trotz pandemischer Situation, im Rahmen des Programms bundesweit bereits über 60 Veranstaltungen zu den „100 Köpfen“ durchführen. Ihre Zahl steigt mit jedem Jahr. Diese Veranstaltungen – Vorträge, Lehrspaziergänge, Lesungen, Theaterstücke, Workshops, Projektwochen u. e. m. – erstrecken sich auf „Köpfe“ aller Epochen. Sie finden in Schulen und an außerschulischen Lernorten statt, etwa in Archiven, Geschichtswerkstätten, Theatern, Bibliotheken oder Volkshochschulen. Die Stiftung vermittelt Referentinnen und Referenten und beteiligt sich finanziell an der Veranstaltung; die konkrete Planung und Durchführung bleibt in der Hand der lokalen Partner. Dieses Vorgehen, das eine dynamische Zusammenarbeit schnell und pragmatisch möglich macht, gibt immer wieder Anlass zu positiven Rückmeldungen. Teilweise sind bereits feste Kooperationen entstanden oder entstehen durch „Mundpropaganda“ neu. Der Ende 2023 eingeführte Kalender (über „Veranstaltungen“ erreichbar) dokumentiert diesen Aspekt: Er zeigt auf, wann und wo Veranstaltungen stattfinden und inspiriert vielleicht Dritte, eigene Veranstaltungen zu in Angriff zu nehmen.

(6.) Für 90 % der „Köpfe“ kann das Programm auf ein Netzwerk aus der Wissenschaft oder wissenschaftsnahen Referentinnen zurückgreifen. Diese beantworten Fragen aus der Öffentlichkeit oder nehmen an Veranstaltungen teil. Nur durch dieses Netzwerk, das sich in die AG „Orte der Demokratiegeschichte“, aber auch darüber hinaus spannt, ist die aktive Veranstaltungsorganisation überhaupt möglich und ein unverzichtbarer Bestandteil des Programms.

Inhalte und Methoden

Im Zentrum des Programms steht methodisch der biographische Zugang zur Demokratiegeschichte. Er durchzieht alle digitalen und analogen Angebote der „100 Köpfe der Demokratie“. Biographien eignen sich vorzüglich als Medien des Erinnerns an die Demokratie: Sie geben Einblick in Lebens- und Denkweisen der Vergangenheit und bieten Zugang – differenzierend oder bestärkend – zu strukturgeschichtlichen Einsichten. Biographien bergen für unterschiedlichste Gruppen der demokratischen Gesellschaft ein hohes Identifikationspotenzial und sind somit ein geeigneter Gegenstand, um über die Geschichte der Demokratie in Deutschland zu diskutieren. Bewusst möchte das Programm auch positive Identitätsangebote machen. Es bezieht daher explizit Personengruppen ein, die in der klassischen Demokratiegeschichte als einer reinen, weißen und west-deutschen „Erfolgsgeschichte“ bislang unterrepräsentiert waren. Hierzu zählen Menschen mit Migrationsgeschichte genauso wie Menschen aus der ehemaligen DDR, aber auch Menschen mit Behinderung.

Inhaltlich machen das Programm die jeweils präsentierten 100 Biographien von Frauen und Männern aus. In ihrer Gesamtheit repräsentieren die „100 Köpfe“ unterschiedliche Formen demokratischen Denkens und Handelns in den letzten 200 Jahren deutscher Geschichte. Zu ihnen gehören Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher regionaler, konfessioneller, sozialer, politischer Herkunft bzw. Zugehörigkeit. Sie versammeln „klassische“ Persönlichkeiten des institutionellen Politikbetriebs, aber auch Protestbewegte, Gewerkschaftsführer, Frauenrechtlerinnen, Publizisten sowie Frauen und Männer aus der sozialen oder karitativen Wohlfahrt. Eben weil diese Auswahl durch ein Abstimmungsverfahren rotiert, sind die „100 Köpfe“ kein unverrückbarer Kanon zertifizierter Vorbilder. Darüber hinaus stellt das Programm auch Persönlichkeiten und Demokratievorstellungen vor, die mit dem Verständnis der Gegenwart von Demokratie in Deutschland kaum oder nicht zu vereinbaren sind. Diese Vielfalt der Biographien veranschaulichen den Wandel und die Widersprüchlichkeiten innerhalb der Demokratiegeschichte. Die „100 Köpfe der Demokratie“ sind somit ein Vorschlag, diese Geschichte weniger als einen vermeintlich linearen Fortschrittsprozess und mehr als eine offene Geschichte der Ausdeutungen, Erwartungen und Enttäuschungen zu erzählen.

2. Innovation, Bildungswert, Mehrwert

(1.) Innovation: Das Programm allein als ein weiteres demokratiehistorisches Angebot für Publikationen und Veranstaltungsformate zu begreifen, hieße am eigentlichen Kerngedanken vorbeizugehen. Die „100 Köpfe der Demokratie“ sind vielmehr eine Plattform, um den Akteuren der historischen und politischen Bildung, den Schulen und der interessierten Öffentlichkeit bundesweit den Zugang zur Demokratiegeschichte über die Methode der Biographie zu erleichtern. Dabei bleibt das Programm nicht bei der Präsentation seiner Inhalte stehen, sondern gibt Dritten über sein analoges Kooperationsformat, seine digitalen Teilhabefunktionen und das didaktische Material auch die geeigneten Instrumente zur eigenen Gestaltung sowie zur kritischen Diskussion über die Biographien selbst in die Hand. Die „100 Köpfe der Demokratie“ sind also ein Multiplikator der Beschäftigung mit Demokratiegeschichte.

(2.) Bildungswert: Die „100 Köpfe der Demokratie“ verknüpfen die Vorteile des biographischen Zugangs mit dem Anspruch einer offenen, fragenden Demokratiegeschichte. Sie sind erstens Beispiele dafür, dass das Konzept „Demokratie“ Ausdruck und Produkt historischen Wandels ist. Gerade weil der Blick in die Vergangenheit auch Ansichten und Praktiken sichtbar macht, die heute als undemokratisch erscheinen, ist es wichtig, diese Ansätze zu benennen und damit historische wie gegenwärtige Demokratievorstellungen als zeitgebunden und offen darzustellen. Zweitens zeigt die Auswahl der Biographien, dass „Demokratie“ über institutionelle Formen (Wahl, Parlament, gesetzliche Rechte) hinausgeht und Aspekte des gesellschaftlichen Miteinanders, der Teilhabe und des Protestes einschließt. Drittens veranschaulichen die „100 Köpfe“, das Verhältnis von Menschen zur Demokratie niemals in Stein gemeißelt ist: Aus Gegnerinnen wurden Verteidigerinnen, aus radikalen Demokraten pragmatisch machtorientierte Realpolitiker. Und auch Vorbilder, die sich für demokratische Ideen engagierten, trafen Entscheidungen oder folgten Überzeugungen, die heute nicht zur Demokratie von heute passen – und genau deswegen auch zur Demokratiegeschichte gehören.

(3.) Praktischer Mehrwert: Die „100 Köpfe“ sind eine Schnittstelle zwischen digitaler und analoger Vermittlung und richten sich an alle Zielgruppen. Sie sind nicht an ein festes Curriculum gebunden, sondern lassen sich pragmatisch an lokalen Erfordernissen und Wünschen ausrichten. Die Teilhabefunktionen lassen sich in verschiedene Formate der Bildungsarbeit direkt einbringen. Zugleich fungieren sie als Transmissionsriemen, mit denen Inhalte aus dieser Bildungsarbeit in die Inhalte des Programms zurückwirken.

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Link zum Projekt

https://www.demokratie-geschichte.de/koepfe/